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Machen Sie Kultur (be)greifbar!

Bei der grassierenden Gleichmacherei bleibt Ihnen die Unternehmenskultur als eine der letzten Möglichkeiten, Mitarbeitende zu gewinnen, zu halten und das Unternehmen von anderen zu unterscheiden. Nur: Wie gestalten und nützen Sie Kultur konkret?

Grundsätzlich bewirkt Unternehmenskultur, dass sich Mitarbeitende im Alltag auf eine bestimmte Art und Weise verhalten. Umgekehrt gilt jedoch auch, dass Mitarbeitende ihr Verhalten ändern, sich auch die Kultur verändert. Und dabei spielen Führende eine zentrale Rolle. Denn ihr Verhalten wird oftmals kopiert und deswegen beeinflussen Sie das Verhalten der Mitarbeitenden und damit die Kultur des Unternehmens unmittelbar. Nur geschieht dies leider (noch) zu oft unbewusst – und damit nicht immer zielführend.

Wenn Sie Kultur als einen Ihrer Gestaltungshebel nützen wollen, sollten Sie sich vor zwei Fallen in Acht nehmen – der Banalisierungsfalle einerseits und der Komplexitätsfalle andererseits. Mit diesem Artikel möchte ich Ihnen skizzieren, wie Sie den Raum zwischen den beiden Fallen für sich und Ihr Unternehmen nützen. Beginnen Sie als erstes mit der Frage, was die Kultur in Ihrem Unternehmen bewirken soll (und weshalb das wichtig ist).

Mit Kulturwirkung starten

Wenn Sie zehn Personen fragen, was Kultur für sie bedeutet, erhalten Sie vermutlich zehn verschiedene Antworten. Das mag Sie kaum überraschen. Denn Kultur wird individuell empfunden und aus einem spezifischen Kontext heraus interpretiert. Sie können Kultur also nie kontextfrei beschreiben. Das sollten Sie nützen: Modellieren Sie Ihr persönliches Wirkmodell – also die für Sie kausalen Verbindungen zwischen Kultur (Ursache) und Verhalten der Mitarbeitenden (Wirkung). Gehen Sie dabei quasi rückwärts vor und überlegen Sie sich zuerst, welches Verhalten der Mitarbeitenden Sie gerne beobachten möchten bzw. Ihr Unternehmen bräuchte. Arbeiten Sie sich danach Schritt für Schritt zurück (welche kulturellen Bausteine führen zu der erwünschten Wirkung, usw., usf.). Sie sind dann am Ziel, wenn Sie keine weiteren Ursachen mehr finden – dann haben Sie quasi Ihren «Kulturkern» ausgegraben.

Fokussieren Sie dabei stets auf die von Ihnen gewünschten Wirkung und bleiben Sie konkret. Damit verhindern Sie endlose Diskussionen und Wortklaubereien. Nützen Sie dieses Vorgehen auch bei Themen wie beispielsweise Führungskultur, Fehlerkultur oder Feedbackkultur. Und achten Sie darauf, Wirkung nicht mit Bedeutung zu verwechseln. Denn Bedeutsamkeit ist eine Funktion der tatsächlich beobachtbaren Wirkung – und nicht umgekehrt. Es hilft Ihnen nicht viel, wenn sie glauben, dass die Führungskultur bedeutend ist für Ihr Unternehmen, wenn Sie nicht verstehen, wie diese Kultur auf das Verhalten der Führenden heute und morgen wirken soll.

Dieses Vorgehen fordert von Ihnen darüber hinaus, sich auf die aus Ihrer Sicht wesentlichsten Treiber zu beschränken, sonst ufert Ihr Modell derart aus, dass Sie es kaum noch vernünftig präsentieren können. Beschränken Sie sich – auch wenn sie das intellektuell schmerzen mag. Mitarbeitende werden Sie besser verstehen.

Nur Wesentliches kommunizieren

Sobald Sie Ihr Wirkmodell erstellt haben, sollten Sie als nächstes die (maximal drei) effektivsten Treiber bestimmen und beschreiben. Orientieren Sie sich dabei an Ihrem spezifischen Kontext. Zu oft beobachte ich, dass Führende (in ihrem eigenen Anspruch als intelligent, analytisch und weitsichtig wahrgenommen zu werden) akademisch saubere Formulierungen suchen, obwohl sie eigentlich einfache, verständliche und einprägsame Worte wählen sollten. Der konsequente Fokus auf den Kontext verhindert, dass sich nichtssagende, auswechselbare Luft- oder Füllwörter in Ihre Kommunikation einschleichen – und deswegen die gewünschte Wirkung nicht auslösen oder unterstützen.

In meiner Arbeit als Executive Team Coach erlebe ich regelmässig, dass Transformationen, Reorganisationen oder andere Veränderungen distanziert, teilnahmslos und nüchtern kommuniziert werden. Mögliche negative Konsequenzen werden nicht angesprochen. Nur sind Mitarbeitenden nicht auf den Kopf gefallen und reimen sich zusammen, was auf sie zukommt. In solchen Situationen stelle ich einen Gegenstand vor das Team. Er steht für die Kultur (oder das Führungsverständnis, oder die Fehlerkultur, oder die Feedbackkultur). Das Ungreifbare bekommt dadurch eine konkrete Gestalt. Nun frage ich das Führungsteam: «Angenommen, die Unternehmenskultur ist ein Produkt (dieser Gegenstand). Welchen Nutzen stiftet es mir als Mitarbeitende und weshalb sollte ich dieses Produkt kaufen wollen?» Aus den Antworten erkennen Sie, was wirklich wesentlich ist für Ihre Kommunikation der Kultur.

Ein Beispiel: Eine Kundin wollte eine Kultur, welche respektvolle Kooperation ermöglichte (Wirkung auf Verhalten). Sie musste eine eher reaktive, risikoaverse, starr strukturierte Produktionsfirma in Bewegung versetzen, um neue Geschäftsfelder zu erschliessen. Welche Aspekte dieser Kultur sollte Sie kommunizieren? Auf welche konnte oder wollte Sie verzichten?

Sie hat sich entscheiden, nur auf die Karte Vertrauen zu setzen. Nun gibt es zahlreiche Möglichkeiten, über Vertrauen zu sprechen (anderen Vertrauen schenken, Selbstvertrauen stärken, …). Die Kundin glaubte, dass sie selbst nur dann jemandem vertraue, wenn sie davon ausgehen könne, weder angelogen noch manipuliert zu werden. Also wurde Ihr Haupttreiber zur Umsetzung der gewünschten Kooperations- Kultur das kontinuierliche Feedback. Mitarbeitende wurden ermutigt, nach Feedback zu fragen und Feedback zu geben. Dadurch entstanden vertrauensvolle Beziehungen zwischen den Mitarbeitenden einerseits und zwischen ihnen und Führenden andererseits. In der Folge wuchs die psychologische Sicherheit, miteinander statt zueinander zu sprechen, Ideen auszudrücken, Austausch zu fördern – kurz: vertrauensvoll zu kooperieren. Heute sagen Mitarbeitende, sie fühlten sich eingebunden, man interessiere sich für Ihren Beitrag und sie könnten einander darauf hinweisen, wenn etwas nicht den Erwartungen entspreche.

Widerstände konsequent lösen

Ihre Unternehmenskultur ist quasi das Amalgam aller individuellen Verhalten. Natürlich gibt es immer Individuen, die mit der aktuellen Kultur nichts oder wenig anfangen können, oder sich nicht darauf einlassen möchten – oder können. Das ist nur dann unglücklich, wenn sich darunter Meinungsführer befinden, die durch ihr Verhalten sogenannte «kognitive Dissonanzen» auslösen. Das geschieht dann, wenn Mitarbeitende ein bestimmtes (kulturadäquates) Verhalten von Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzen erwarten, diese sich jedoch wesentlich anders verhalten. Das verwirrt und führt sie zur Frage, was denn nun gelte und ob es für sie eventuell nicht sicherer sei, diesen Meinungsführern zu folgen. Unterschätzen Sie niemals die Wirkung eines abweichenden Verhaltens und gehen Sie konsequent, beharrlich und erkennbar dagegen vor. Erlauben Sie mir, Ihnen hier die Aussagen vieler Führenden zu konsolidieren: «Eine kulturelle Passung lässt sich nicht verordnen. Trenne Dich rasch von Menschen, die kulturelle Flurschäden erzeugen.»

Fazit: Wenn Sie sich mit Unternehmenskultur befassen – und als Führende tun Sie das meist rund um die Uhr – dann erlauben Sie sich, die Wirkung der Kultur zu formulieren. Modellieren Sie Ihr persönliches Wirkmodell und finden Sie die maximal drei Treiber, die Ihnen helfen, die gewünschte Wirkung auszulösen. Und gehen Sie konsequent mit Abweichungen um. Denn sie untergraben Ihre Initiative und hemmen die kollektive Bewegung.

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