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Wie Sie end2end denken und handeln fördern.

Projekte sollten systemübergreifend verstanden werden. Dennoch scheinen sich Mitarbeitende immer mehr auf ihre individuelle Aufgabe zu beschränken. Es fehlt eine end2end-Perspektive. Woher kommt sie?

Möglicherweise hilft es, wenn ich kurz darlege, was ich unter «end2end» verstehe. Der Begriff ist nicht neu, erlebt vor allem im Zusammenhang mit Digitalisierungsprojekten eine Revitalisierung:

„Ein End-to-end-Prozess ist ein Prozess, der aus sämtlichen zeitlich-logisch aufeinander folgende Teilprozessen besteht, die zur Erfüllung eines konkreten Kundenbedürfnisses notwendig sind.“ www.ibo.de / Abfrage 19.10.2023

Natürlich ist das bloss eine von vielen Beschreibungen. Was mir daran gefällt, sind insbesondere zwei Punkte:

  1. Da ist zum einen die (wenig überraschende) Einordnung logisch zusammengehörender Teilprozesse in einen übergeordneten Gesamtprozess. Damit setzt die end2end Perspektive voraus, dass dieser Gesamtprozess bekannt ist. Sonst klappt es nicht mit der Einordnung.
  2. Und zum anderen rückt der Kunde in den Mittelpunkt. Eine end2end Perspektive lässt sich vermutlich leichter einnehmen, wenn man versteht, was wem durch diesen Gesamtprozess ermöglicht werden soll. Dadurch fokussieren alle Beteiligten besser auf die Wertschöpfung für den Kunden, stärken Qualität, Wirkung und Nutzen. Eine end2end Perspektive fördert letztlich die zielorientierte Ressourcenallokation.

Den Gesamtprozess verstehen

Eigentlich ist es paradox: Um Komplexität aus Gesamtprozessen zu nehmen, wurden beispielsweise in der agilen Arbeitswelt spezifische Methoden und Hilfsmittel eingeführt. Sie fördern ein rasches Vorwärtskommen trotz Blockaden oder ständig ändernden Rahmenbedingungen, Kundenwünschen und Ressourcen. Vorhaben werden in viele Teilaufgaben gestückelt, von Mitarbeitenden nach Fähigkeit und Lust angenommen und gelöst. Mittels sogenannten Retro-Sessions werden Probleme gemeinsam gelöst oder Erkenntnisse geteilt. Dezidierte Rollen fassen solche Einzelleistungen zusammen und integrieren sie im Gesamtsystem, sodass schliesslich die erwünschte Wirkung erzielt, dem Kunden der bestellte Nutzen geliefert wird.

In anderen Worten bringt diese Flexibilisierung Segen als auch Fluch: Zwar bleiben Systeme trotz hoher Komplexität in Bewegung während gleichzeitig viele Teillösungen den notwendigen Überblick erschweren. Deswegen wurden spezifische Rollen geschaffen, welche die Koordination ermöglichen und verlässliche Planungszyklen erleichtern. Doch dafür fehlt es in vielen Unternehmen an ausreichend Kompetenzen. Von den Mitarbeitenden wird das kaum noch erwartet: Sie fokussieren stattdessen auf ihre Aufgaben, wollen dabei umfassend unterstützt werden und (rasch) weiterkommen.

Das ist Ihnen vermutlich nicht unbekannt:

Erfahrene Projektleitende, welche Übersicht behalten, sowohl mit Kunden sprechen als auch Mitarbeitenden integrieren und Probleme in einen passenden Kontext stellen, um Raum für Lösungen zu schaffen, sind selten geworden, fehlen an allen Ecken und Enden.

Das hat vermutlich mehrere Ursachen (die Liste lässt sich bestimmt erweitern): • Wir wählen Mitarbeitende für Projektrollen aufgrund ihrer fachlichen statt sozialen Fähigkeiten (und gehen davon aus, dass sie selbständig mit den Stakeholdern zurechtkommen); • Wir bilden Mitarbeitende im Projektmanagement aus statt im Projektleadership (und gehen davon aus, dass sie den Unterschied selbständig erkennen und ihr Verhalten anpassen); • Wir sprechen nicht über Führung, Führungsverständnis und Führungserwartungen an spezifische Rollen (und gehen davon aus, dass im Unternehmen alle mehr oder weniger dasselbe darunter verstehen); • Wir schützen unsere Mitarbeitenden nicht vor «übergriffigen» Kunden, belassen sie «zwischen Hammer und Amboss», obwohl dort psychologisch kein gesunder Ort ist (und wir gehen davon aus, dass sie sich mit der Zeit abhärten).

Folglich werden jene Mitarbeitenden, die einen Gesamtblick behalten und stufengerecht vermitteln könnten, absolut und relativ immer weniger.

Wie ist Heilung möglich? Für bestimmte Weiterbildungen (wie beispielsweise zur Projektmanagerin) sind standardisierte Angebote verfügbar. Die gelernten Methoden und Techniken helfen den Absolvent:innen ihre Projektarbeit effizient zu erledigen. Nur kommt es gerade in komplexen Projekten selten auf eine bestimmte Technik an, sondern insbesondere um die Fähigkeit, allen Beteiligten einen Bezug zum Projekt herzustellen, deren Vertrauen zu gewinnen und sie einzubinden.

Projektleitende sind also immer auch Kulturbotschafter. Und ich schlage deshalb vor, dass sich Unternehmen, die auf solche Projektleitende angewiesen sind, sehr genau überlegen, wie sie ihnen (neben den standardisierten Weiterbildungen) auch unternehmens- und kontextspezifische Möglichkeiten schaffen, die Aufgabe möglichst gut zu erledigen. Dazu gehört eine erwartungs- und wirkungsorientierte Definition der Rolle; ein flexibles Mentoring sowie einen möglichst einfachen Austausch mit Peers – vor allem, um die Projektleitenden quasi die Lernkurve hinaufzuschieben. Kurz: Jedes Unternehmen sollte sich klar darüber werden, wie es dafür sorgen kann, dass Projektleitende gerade in ihrem Kontext erfolgreich arbeiten können. Denn darin gründen Folgeaufträge und eine enge, vertrauensvolle Kundenbeziehung.

Schliesslich wäre es vermutlich nicht verkehrt, sich mit der Rolle grundsätzlich auseinanderzusetzen. Wie haben sich die Anforderungen verschoben? Möglicherweise muss eine Projektleiterin heute sehr viel mehr mit Kunden und Mitarbeitenden kommunizieren als noch vor zehn Jahren. Zudem hat sich die Wissensbasis bei den Kunden erweitert (im Sinne von «haben viel gelesen, gehört, gesehen»), doch sind die eigentlichen Anwendungs- oder Umsetzungsfähigkeiten dünner geworden. Kunden benötigen also mehr Hilfe als früher, möchten das jedoch nicht hören, weil sie etwas anderes glauben.

Wenn wir also die end2end Perspektive der Mitarbeitenden stärken wollen, benötigen wir Multiplikatoren, welche im Unternehmen für diese Stärkung sorgen. Sie fallen nicht von den Bäumen, sondern müssen akribisch und spezifisch weitergebildet werden. Und der Fokus dieser Weiterbildungen sollte sich verschieben: weg vom Doing, hin zum Being. Das heisst, dass dieser Job nicht nur weit psychologischer geworden ist, sondern insbesondere auch reflektiver. Projektleitende sollten Konzepte wie Angst, psychologische Sicherheit oder auch gewaltfreie bzw. de-eskalierende Kommunikation im Repertoire haben. Sie sollten reflektiert arbeiten und verstehen, wie sie Perspektiven schaffen und den gesuchten Bezug zum Gesamtprojekt herstellen.

Den Kunden verstehen

In den jüngsten Jahren haben sich Unternehmen durch verschiedenste Ereignisse und Trends vermehrt mit sich selbst beschäftigt. Im Zentrum stand eher die Frage «Wie gehen wir damit um?» als «Wie nützen wir dies zu unserem Vorteil am Markt?». Und so rückte der Kunde Schritt für Schritt in den Hintergrund. Der Blick auf den Kunden wurde verstellt durch Fragen nach einer optimalen, modernen Organisation, nach hilfreichen Governancestrukturen und -prozessen, nach digitalen Kommunikationsformen oder nach weiteren Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung interner Kooperationsprozesse. Vor diesem Hintergrund ist es nicht einfach, das konkrete Kundenbedürfnis zu erfassen, zu kommunizieren und schliesslich auch zu erfüllen. Ich erachte es als ungünstige Tendenz, wenn das Herumfeilen an internen Prozessen die gleiche Bedeutung geniesst, wie das Herausschälen und Bedienen relevanter Kundenbedürfnisse.

Wie lässt sich eine solche Situation heilen? Beginnen Sie mit einem einfachen Schritt: Betrachten Sie die Agenden aller Teammeetings in ihrem Unternehmen und verschieben Sie dann die Gewichtung hin zum Kunden. Wir haben es geschafft, dass Mitarbeitende heute mehr Zeit damit verbringen, einen möglichen Fehler zu vermeiden oder sich Alternativen zurechtzulegen, um aus der sprichwörtlichen Schusslinie zu kommen, als eine Chance zu nützen. Erfolge werden immer annektiert, dass war schon immer so. Nur: Sorgen Sie dafür, dass Ihre Teams gewinnen wollen (also Chancen ergreifen) statt nicht verlieren wollen (also Fehler vermeiden). Das ist gar nicht mal so schwierig: Die Erkenntnisse der Positiven Psychologie haben uns gezeigt, dass man durch eine spezifische Kommunikation nachweislich Teams zu einem anderen, etwas chancenorientierteren Verhalten bringen kann. Zu beiden Themen habe ich früher bereits separate Newsletter geschrieben.

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